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Jeder, der sich mit Videospielen beschäftigt, hat mitbekommen, dass in diesem Jahr einige Indie-Perlen und AA-Spiele auf den Markt gekommen sind, die die Spieler in ihren Bann gezogen haben. Von Blue Prince, das non-lineares Storytelling und Rätsel in einem Roguelite verpackt, über South of Midnight, das seine Geschichte in einem bisher kaum berührten Setting erzählt, bis hin zu Clair Obscur: Expedition 33, das sich als absoluter Überraschungshit entpuppte, gab es schon in der ersten Jahreshälfte so viel Gutes von kleinen Entwicklerteams zu zocken, dass den großen AAA-Spieleschmieden die Beine schlackern.
Einer der angesprochenen Titel hat es mir jedoch besonders angetan, und ich möchte diese Zeilen dazu nutzen, euch zu erklären, weshalb Clair Obscur: Expedition 33 so erfolgreich war und mich auf einer ganz persönlichen Ebene abgeholt hat.
Da ich hier über meine komplette Spielerfahrung spreche, gilt für euch Leser: Spoiler können auftreten und werden nicht gesondert gekennzeichnet. Lest also auf eigene Gefahr weiter.
Sounddesign
Man könnte hier jetzt über die gelungene Grafik, das fantastische Motion-Capturing oder den Segen eines funktionierenden und spannenden rundenbasierten Kampfsystems reden. All diese Dinge sorgen dafür, dass Clair Obscur: Expedition 33 so besonders wurde.
Neben all diesen genannten Dingen tut der unbeschreiblich emotionale und weitreichende Soundtrack von Clair Obscur: Expedition 33 sein Übriges, um dieses Spiel in die Sphären der Unvergesslichkeit zu katapultieren. Die Breite, mit welcher das französische Entwicklerstudio Sandfall Interactive seinen Titel hier aufgestellt hat, ist für einen kleinen Titel wie Clair Obscur: Expedition 33 einfach unglaublich. Von wenig aufdringlichen Ambient-Tracks über bestechende Technobeats bis hin zu mehrteiligen, zehnminütigen Songs ist hier wirklich alles geboten.
Dabei wirkt nicht nur die Musik selbst, sondern auch, wie sie in das Spiel eingebettet wurde, unglaublich. Oftmals werden nur Teile eines Tracks geloopt, manchmal werden Elemente lediglich leise eingespielt oder Bruchstücke miteinander verwoben, um den eigentlich recht unscheinbar klingenden Soundtrack von Clair Obscur: Expedition 33 spannender zu machen. Expedition 33 spannender zu machen als er in der Realität ist.
Dies fällt beim Spielen nicht auf und wird erst dann offensichtlich, wenn man sich den Soundtrack über externe Quellen anhört und feststellt, dass die Vielfalt zwar vorhanden ist, aber bei weitem nicht so umfangreich, wie man es beim Spielen wahrgenommen hat.
Neben den diversen Musikstücken, die einem die Reise durch Clair Obscur: Expedition 33 versüßen, leistet auch die hervorragende Synchronisation der Charaktere in Englisch und Französisch einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Charaktere zum Leben erweckt werden und ganz natürlich in dieser unnatürlichen Spielwelt wirken.

Charaktere
Der Cast des Titels wirkt zu Beginn des Spiels recht eintönig und grau, doch bereits nach kurzer Zeit wird klar, dass jeder einzelne dieser Charaktere mit so viel Liebe geformt wurde, dass er vor Persönlichkeit geradezu trieft. Angefangen bei Gustave, der die Malerin aus einer Art falsch verstandener Selbstgeißelung heraus umbringen möchte, leidet jeder Charakter unserer Hauptparty unter Traumata. Diese geben den Charakteren Tiefe und sind als Metaphern zu verstehen, weshalb sie auch niemals vollständig überwunden werden.
So hat Sciel zu Beginn der Reise mit ihrem Leben abgeschlossen, nachdem ihr Mann bereits vor langer Zeit gestorben ist und ein Suizidversuch ihrerseits mit der Konsequenz eines noch im Mutterleib verstorbenen Kindes gescheitert ist. Zwar nimmt sie wie selbstverständlich an dieser Expedition teil, doch merkt man schnell, dass sie eigentlich nur darauf aus ist, in ihrem vermeintlich letzten Lebensjahr noch einmal etwas zu spüren, statt in ihrem Schmerz und ihrer Trauer zu vergehen.
Lune fühlt sich verpflichtet, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten und ihre Forschung voranzubringen. Bis kurz vor Ende der Handlung weiß sie sich sehr gut zu verstellen und tut so, als wäre diese Forschung ihre eigene Obsession. Doch subtile Risse in dieser Fassade werden immer häufiger, sodass am Ende klar wird, dass sie unter der Forschungsobsession ihrer Eltern massiv gelitten hat und ihre Forschungen nicht aus eigenem Antrieb, sondern aus einem falsch verstandenen Pflichtgefühl heraus durchführt, das ihre Eltern ihr auferlegt haben.
Und dann gibt es natürlich noch die beiden wahren Protagonisten der Handlung von Clair Obscur: Expedition 33: Verso und Maelle. Als Malerin, die ihr Gedächtnis verloren hat, nutzt Maelle die Leinwand zur Trauerbewältigung und als Raum, in dem sie vor ihren Verletzungen und Behinderungen fliehen kann. Am Ende zeigt sich, wie sie dieses Verlangen (je nach gewähltem Ende) beinahe in den Wahnsinn treibt.
Es ist eine unglaublich tragische und emotionale Geschichte, die von Versos Handlung kontrastiert wird. Verso arbeitet das gesamte Spiel darauf hin, das in der Leinwand lebende Echo von Maelles Bruder endlich zu befreien und die Leinwand zu zerstören, um sein unendliches Leben, das er so satt hat, zu beenden.
Das Ganze wird von einem unglaublich liebenswerten Esquie umrahmt, der kindliche Simplizität repräsentiert. Außerdem gibt es einen seltsamen Monoco, der eine wandelnde Metapher für Verlust und Neubeginn darstellt, sowie Antagonisten wie Renoir und die Malerin, die beide sehr nachvollziehbare Motive haben und keinesfalls simpel gehalten sind.

Spielerfahrung
Es ist unglaublich spannend, die Spielwelt von Clair Obscur: Expedition 33 auf mehreren Ebenen zu erkunden. Während der ersten beiden Akte nimmt man sie nämlich als solche wahr: als eine Welt voller Mysterien und Leid, die einerseits einladend, andererseits vollkommen falsch wirkt.
Eine Welt, die eigentlich fantastisch ist, aber von umherwandelnden Schrecken durchzogen ist – eine Welt, die von ihrem Leid und der Geißel der Malerin erlöst werden will.
In Akt drei hat man dann plötzlich die Gelegenheit zu erkennen, dass alles, was wir sehen, dem Verstand von Kindern entspringt und eine gezeichnete Metapher für all die Schrecken der Welt ist. Die Gestalten erscheinen in einem neuen Licht, die Farbenpracht vieler Gebiete ist kein Zufall mehr und die Angriffsanimation auf der Oberwelt ergibt plötzlich Sinn.
Es ist dieser narrative Wandel, der Clair Obscur: Expedition 33 so besonders macht und dafür sorgt, dass die 30 bis 50 Stunden lange Spielerfahrung von Anfang bis Ende spannend bleibt.
Schön ist auch, dass Clair Obscur: Expedition 33 eine gute Länge hat. Eine Geschichte, die nach rund 20 bis 30 Stunden auserzählt ist, gepaart mit einer in der heutigen Zeit beinahe unvorstellbaren Menge an optionalen Inhalten, ist einfach die optimale Erfahrung für alternde JRPG-Fans wie mich.
Das rundenbasierte Kampfsystem funktioniert schnell und problemlos, bietet genug Tiefgang, um diverse Charakterbuilds auszuprobieren, die allesamt ihre Stärken und Schwächen haben, und sorgt so dafür, dass es niemals langweilig wird. Das Kontersystem spornt auf dem normalen Schwierigkeitsgrad dazu an, als Spieler besser zu werden, und ist auf dem schweren Schwierigkeitsgrad integral für die Spielerfahrung.
Somit ist es auch verständlich, dass sich die Gegnervielfalt auf rund 20 bis 30 verschiedene Feinde zuzüglich Endbosse beschränkt, da für ein optimales Spielerlebnis die Muster all dieser Gegner auswendig gelernt werden müssen.
Über das Kampfsystem hinaus motiviert Clair Obscur: Expedition 33 den Spieler aber auch mit einer Vielzahl von Upgrades, die in der Welt gefunden werden können, sowie mit diversen Kostümen und Frisuren, mit denen die Charaktere individualisiert werden können. In optionalen Zwischensequenzen treten teilweise ganz neue Facetten der Charaktere zutage.
Nein, Clair Obscur: Expedition 33 ist nicht perfekt, aber es ist das perfekte Spiel für mich, da es all diese Inhalte so verpackt, dass ausnahmsweise nicht Teenager, sondern erwachsene Menschen die Zielgruppe ausmachen, welche aus den Themen des Spiels viel für sich und ihr Leben herausziehen können, wenn sie die Metaphern von Clair Obscur: Expedition 33 bietet, so akzeptiert, wie sie sich einem darbieten, und auf das eigene Leben ummünzt.

Fazit
Das französische Entwicklerstudio Sandfall Interactive, welches Clair Obscur: Expedition 33 entwickelt hat, hat jedes Lob verdient, das ihm zuteilwird. Es ist ihnen gelungen, sich aus dem Einheitsbrei, der die Gamingindustrie aktuell dominiert, hervorzuheben und ein Projekt abzuliefern, das nicht nur exzellent präsentiert wird, sondern auch unmonetarisierten Tiefgang bietet, der so nur selten zu finden ist. Chapeau, Sandfall Interactive!
Das Jahr 2025 wird für mich immer das Jahr sein, in dem ich die Ehre hatte, Clair Obscur: Expedition 33 zu spielen und die Geschichte um Alicia zum ersten Mal zu erleben. Da kann auch nicht ein top Titel wie Yasha: Legends of the Demon Blade mithalten, den wir Anfang des Jahres für euch betrachtet haben.
Vielen Dank!
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